Monira Hussin, Syrerin, sie kam 2015 nach Deutschland und lebt seit 2018 hier in der Ohlendiekshöhe. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. In ihrer Heimat studierte sie Arabische Sprachwissenschaften und Literatur und arbeitete 7 Jahre lang als Lehrerin für Arabisch, Englisch und Türkisch. Seit 2023 hat sie einen deutschen Pass.
Dein Vater kann gut schwimmen
Diese Geschichte erzählt weder den Anfang noch das Ende. Es ist ein kleiner Teil der Geschichte von Tausenden und Abertausenden von Flüchtlingen. Die Helden der Geschichte sind das Meer, die Dunkelheit und Menschen auf der Suche nach einem neuen Weg zum Leben.
Meine Reise in diesem kleinen Schlauchboot dauerte fast fünf Stunden. Sie fing um Mitternacht an. Die Nacht war sehr beängstigend, der Mond schien nicht wie gewöhnlich und der Geruch des Todes wehte über das Wasser. Die Stille war erschreckend. Das kleine Boot war voller Menschen. Wasser drang ein und durchnässte all unsere Kleidung und Taschen. Ich wollte schreien, damit meine Stimme die ganze Welt erfüllte. Das Weinen der Kinder erinnerte mich daran, dass ich kein Zuhause mehr hatte, dass ich mein schönes Leben verloren hatte – genauso wie ich viele Mitglieder meiner Familie in diesem Krieg verloren hatte. Ich flehte jemanden an, mich in das warme Haus in Damaskus und in das schöne Leben vor dem Krieg zurück zu zaubern.
Das Wasser, das Essen und der Treibstoff gingen zur Neige. Die Frauen schrieen, manche aus Angst, manche weil sie zu wenig Platz hatten. Die Kinder weinten und die Männer waren hilflos. Ich war erstarrt und ich sagte keine Wort.
Ich schaute in die Augen meiner kleinen Kinder und dachte: „Verzeiht mir. Wir haben keine andere Lösung.“ Ich konnte nur meine Hand auf die Augen meines kleinen Mädchens legen, damit es nicht die Leichen sah, die im Wasser trieben und ich ermutigte sie: „Hab keine Angst, dein Vater kann gut schwimmen und er wird dich und deinen Bruder retten, wenn das Boot in diesem Moment sinken sollte.“ Ich wusste, dass ich log und vielleicht wusste mein kleines Mädchen das auch.
Es war eine schwierige Herausforderung und ein verrücktes Abenteuer, wie man es nur in diesen Abenteuerfilmen sieht, die ich als Teenager immer geliebt habe. Nie hätte ich erwartet, bei einem davon mitzuwirken. Aber es war kein Film, es war eine beängstigende Realität.
Es macht mir bis heute ein Gefühl der Erstickung, wenn ich das Meer sehe. Es ist verrückt mit einem Boot des Todes an die Küste des Lebens zu gelangen.
Die Geschichte hat eine Fortsetzung, aber ich möchte, dass sie hier aufhört, denn was in meinem Kopf und Herzen vorgeht, braucht Dutzende von Seiten. Vielleicht kommt ein Tag, an dem ich die ganze Geschichte schreibe, aber ich werde es erst tun, wenn der Blutfluss in meinem Land aufhört.
Vielen Dank, Munira! Wie gut, dass Du und Deine Familie hier bei uns wieder zum Leben finden kannst!
Martin
Danke Martin 🙏